Haftung ohne Grenzen für Gründungsgesellschafter?

BGH | Beschluss vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18

Gründen ist in. Mittlerweile scheint es zum CV zu gehören wie bis zum 8. September 2022 die Queen zu Großbritannien. Da kann es nicht schaden, sich auch mit einem Risiko der Gründung zu beschäftigen: der Haftung. Wen fragen Gründer da am besten? Den BGH. Denn der hat sich mit der Haftung für vorvertragliche Aufklärungsmängel beschäftigt.

 

Was ist passiert?

Ein Anleger beteiligt sich an einem geschlossenen Investmentfonds, Rechtsform GmbH & Co. KG. Deren Komplementärin (persönlich haftende Gesellschafterin) war zugleich verantwortlich für den von der BaFin gebilligten Verkaufsprospekt. Die Beteiligung entwickelt sich anders als erwartet und der Anleger verklagt die Komplementärin des Fonds als Gründungsgesellschafterin. Ziel des Klägers: Schadensersatz. Behauptung: Prospektfehler. Hierfür gibt es spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche, z. B. § 306 KAGB, §§ 9 ff WpPG, §§ 20 ff VermAnlG.

Welche Nachteile hat die Spezialregelung für klagende Anleger?

Der Anspruchsgegner kann sich entlasten und haftet dann nicht. Denn das spezialgesetzliche Haftungsregime bietet diesem gewisse Privilegierungen bei Verschulden und Verjährung. Kann der Prospektverantwortliche etwa nachweisen, dass er nur einfach fahrlässig, nicht etwa grob fahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt hat, haftet er nicht. Für Altfälle, bei denen der Verkaufsprospekt vor dem 1. Juni 2012 aufgestellt wurde, galt zudem eine Sonderverjährung von max. drei Jahren, beginnend ab Veröffentlichung des Prospekts (§ 13 Abs. 1 VerkProspG, § 46 BörsG a.F.). Ist dieser Zeitraum verstrichen, wird ebenfalls nicht gehaftet, selbst wenn alle Anspruchsvoraussetzungen gegeben wären. Aus Sicht der Kläger keine gute Situation.

Welche Taktik haben sich Anlegerschützer überlegt?

Wegen dieser Nachteile haben Anleger nach einem Ausweg gesucht: eine bessere Anspruchsgrundlage! Welche? Vertragliche Ansprüche wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch Verbreitung eines unrichtigen oder unvollständigen Prospekts – „bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im weiteren Sinne“. Bei diesen Ansprüchen hat der Anspruchsgegner keine Privilegierungen bei Verschulden und Verjährung. Die Rechnung klagender Anleger ging jahrelang auf, denn in der Rechtsprechung wurde diese Praxis wie selbstverständlich gelebt.

Was hat der BGH entschieden?

Gute Nachrichten für Gründer: Die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im weiteren Sinne ist nur begrenzt anwendbar. Gibt es Spezialregeln, bleibt für Auffangregeln kein Platz.

Sind Prospektverantwortliche zugleich Adressaten der spezialgesetzlichen Prospekthaftung, können keine zusätzlichen (vor)vertraglichen Ansprüche wegen der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts geltend gemacht werden.

Die Bedeutung dieser Entscheidung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden:  Wegen der bis 1. Juni 2012 geltenden kurzen Verjährung von drei Jahren folgt daraus zum einen, dass in Altfällen Ansprüche gegen Gründungsgesellschafter, die zugleich Prospektverantwortliche waren, ab sofort als verjährt anzusehen sind, selbst wenn die damaligen Prospekte fehlerhaft gewesen sein sollten.

Auch Rückschlüsse auf jüngere und aktuell verbreitetere Finanzprodukte sind möglich: Anleihen, Nachrangdarlehen oder tokenisierte Finanzprodukte oder alle Emissionen, bei denen anstelle eines Prospekts lediglich ein Wertpapier-Informationsblatt | WIB oder Vermögenanlagen-Informationsblatt | VIB veröffentlicht werden muss. Auch hier gilt: Die Verantwortlichen (Prospektverantwortliche bzw. der für das WIB | VIB verantwortliche Anbieter) haftet ausschließlich nach spezialgesetzlichen Ansprüchen. Weitere Aufklärungspflichten, die sich nicht aus dem spezialgesetzlichen Haftungsregime herleiten lassen, können keine zusätzliche vorvertragliche Haftung begründen.

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